(Auszug) … Einmal, es war ein sehr heißer und sonniger Tag, spielten sie unter dem großen, Schatten spendenden Vordach eines Kaufhauses. Junge Leute mit Sonnenbrillen schlenderten vorbei, redeten und lachten, ältere suchten nach Schatten und Eiscreme. Das Geschäft lief mäßig. Die Lieder waren zu traurig für Sonnenschein. Theo blätterte die Noten um und stupste Lisa mit dem Ellbogen an. „Hier“, sagte er, „jetzt nehmen wir das“, und tippte mit der Spitze seines Bogens auf ein Weihnachtslied, das sie üblicherweise übersprangen. Lisa grinste. Sie setzten die Instrumente an und legten los. Laut und voller Pathos schmetterten sie in die Sonne: „Sti-hi-le Naaacht…“ Ernst und würdevoll, ohne eine Miene zu verziehen, gaben sie die irritierten Blicke der Vorbeigehenden zurück. Zwei Leute lachten, einer schüttelte scherzhaft den Zeigefinger. Andere schauten sie fragend an. Ein beleibter, schwitzender Mann trat, als sie fertig waren, zu ihnen unter das Dach.
„Was war das für ein Lied“, schnaufte er, „ich kenne das doch.“
Theo beugte sich über den Koffer, um nach dem Geld zu se-hen. Wenn zu viel drin lag, gaben die Leute nichts mehr. Lisa öffnete den Mund, um dem Mann zu antworten, doch der rief: „Nein, sagen Sie nichts, Ich komm drauf!“
„Ich kenne das auch“, sagte eine Frau, die dazu gekommen war, „gleich fällt es mir ein.“
Während der Mann „ich kenne das, ich komm noch drauf“ murmelnd sich wieder entfernte, dachte sie angestrengt nach und gab dann auf: „Verraten Sie’s mir.“
„Stille Nacht“, sagte Theo und verscheuchte eine Wespe.
„Aber das ist ja ein Weihnachtslied!“ Die Frau schüttelte den Kopf. „Mitten im Sommer, das gibt es doch nicht.“ Empört suchte sie das Weite.
Das peinliche Publikum gehörte auch zu den Gründen, die Lisa davon abhielten, von der Straßenmusik zu erzählen. Fast alle, die etwas in den Koffer warfen, waren Männer und Frauen in der zweiten Lebenshälfte. Mindestens im Alter ihrer Eltern. „Schön, dass ihr nicht rumhängt und Bier trinkt wie die anderen arbeitslosen Jugendlichen“, lobten sie.
Einmal, als Lisa und Theo ihre Sachen schon zusammenpackten, sprach eine Mittsiebzigerin sie an. Sie sagte erst: „Wie schön, dass ihr diese Musik spielt“, und dann sagte sie: „Hitler hatte es nicht leicht.“
Lisa und Theo versuchten so zu tun, als hätten sie nichts gehört.
Doch die Frau zupfte Theo am Ärmel und rief: „Er wollte die Juden eigentlich nicht umbringen! Aber die Engländer wollten sie ihm ja nicht abnehmen! Wo sollte er mit ihnen hin? Was blieb ihm übrig?“
Sie packten sehr schnell zusammen.
„Das wollt ihr nicht hören. Das ist typisch!“, zeterte die Frau hinter ihnen her.
„Wir haben die falschen Fans“, sagte Lisa zu Theo.
Der zuckte die Schultern. „Lass dich nicht verunsichern.“
‚Und denk ans Geld‘, fügte Lisa innerlich hinzu und schämte sich. …

Die ganze Geschichte steht im Konkursbuch 58 Arbeit.